Meine Tochter und ihre Freundin Lili hatten mich gebeten, für ihre ‚Horror-Party‘ eine Gruselgeschichte zu schreiben. Ich habe schließlich eine klassische Jugendgruppengeschichte von Stefan Krüger abgewandelt und dabei auch den Familienhund »Jack« miteinbezogen. Vielleicht kann ja nach ähnlichem Muster auch der ein oder andere mit der Geschichte arbeiten – z. B. zu Halloween…
Ja, meine Lieben, Nelly hat mich ja gebeten, mir für heute eine Gruselgeschichte auszudenken. Aber dann ist mir eingefallen, dass die Wirklichkeit manchmal viel unheimlicher sein kann, als der fantastischste Albtraum! Ihr wisst ja vielleicht, dass ich mal Reporter bei Radio Ennepe Ruhr gewesen bin. Ist schon ein paar Jahre her. Auf jeden Fall gab’s zu meiner Zeit hier im Ennepe Ruhr Kreis ’ne Reihe ungelöster Mordfälle. Und die Polizei hat lange im Dunkeln getappt – bis man auf ’nem Gelände von einem kleinen Gasthof zwischen Schwelm und Remscheid zwei Leichen gefunden hat – bzw. das, was davon noch übrig gewesen ist. Die Polizei hat eigentlich auch nie so ganz klären können, was da auf dem Gelände des Gasthauses in der kalten Herbstnacht genau passiert war. Aber ich hab‘ mir damals meinen eigenen Reim auf die Sache gemacht. Und der geht so:
***
Dennis Brock fror. In seinem Auto war’s kalt. Arschkalt. Die Heizung funktionierte mal wieder nicht. Und er konnte schon seinen eigenen Atem sehen. In dieser Einöde zwischen Schwelm und Remscheid schien’s ihm um diese Jahreszeit sogar noch kälter als sowieso schon. Jeden Abend musste er den Weg durch die gottverlassene Gegend fahren. Von der Redaktion nach Hause. Es wurde dunkel und er war hundemüde.
An einem einsam gelegenen Gasthaus an der Landstraße beschloss Dennis, sich einen heißen Kaffee zu holen.
Er stoppte den Wagen, stieg aus und betrat den warmen Raum: Nur ein alter Mann hinter der Theke, der Dennis seltsam lächelnd musterte.
»Was darf’s denn sein, Meister?«, begrüßte der Alte seinen einzigen Gast.
»Kaffee – zum Mitnehmen!«
»Kommt sofort!« antwortete der Alte, während von draußen plötzlich ein markerschütterndes Jaulen zu hören war. Dennis zuckte zusammen. Der alte Mann verstand: »Sie mögen keine Hunde?«
»Nicht wirklich. Mich hat mal einer gebissen. Dumme Viecher!«
»Dumm? Dann kennen Sie aber meine noch nicht. Hab sie aus’m Tierheim hier um die Ecke.« erklärte der alte Mann. »Taten mir leid, wie sie da so in ihren Käfigen lagen. Jetzt helfen sie mir, Einbrecher und Landstreicher fernzuhalten. Sind ganz besondere Tiere, wirklich – kommen Sie, ich will sie Ihnen kurz zeigen.«
Dennis verzog das Gesicht.
»Glauben Sie mir: Sie werden die Tiere danach mit ganz anderen Augen sehen. Versprochen! Und der Kaffee muss eh noch durchlaufen. Also los, nun tun Sie ’nem alten Mann schon den Gefallen. Könnte doch vielleicht der letzte sein!« Er zwinkerte Dennis zu.
Die beiden Männer gingen also hinters Haus, wo drei Zwinger standen. Die Hunde darin waren groß, etwa hüfthoch.
»Na, sind das nicht ein paar Prachtstücke?« fragte der Alte den Redakteur stolz.
Dennis aber konnte nur den Kopf schütteln. »Tut mir leid. Ich weiß nicht, was an denen schön sein soll. Aber ist Geschmackssache!«, fügte Dennis versöhnlich hinzu.
»Sie sind außergewöhnlich talentiert. Liegt am Futter!«
»So?« Dennis gab sich interessiert. »Was bekommen sie denn?«
»Normalerweise auch nur Hundefutter. Nur ein einziges Mal kriegen sie was ganz Besonderes und das macht den kleinen Unterschied!« Der alte grinste Dennis seltsam an und flüsterte: »Menschenfleisch!«
»Haha!« Dennis glaubte an einen Scherz.
»Doch, doch! Sie haben schon richtig gehört: Menschenfleisch! Ich hab‘ immer einen besonderen Menschen ausgewählt. Die Hunde nehmen nämlich das Wesen von demjenigen an, den sie fressen. Deshalb sind sie auch was Besonderes. Der hier hatte nen Polizisten. Seitdem ist er ’n prima Wachhund. Und der daneben ’nen Jäger, seitdem der beste Spürhund zwischen Ennepe und Ruhr!«
»Ist klar!« Dennis lachte gequält. »Und der Dritte?«
»Sehen Sie: Da schließt sich jetzt der Kreis! Sie sind doch Reporter, oder?! Hab‘ Sie gleich wiedererkannt. Ihr Bild ist jede Woche in der Zeitung, über ihrer Polizei-Kolumne. Sie schreiben doch immer so intelligentes Zeugs über die ganzen ungelösten Morde. So’n schlauer Hund wie sie, der fehlt mir noch!«
Mit diesen Worten öffnete der Alte den Zwinger. Und der Hund, der seit Tagen nichts zu Fressen bekommen hatte, fiel sofort über Dennis her, noch ehe der verstanden hatte, dass all das kein schlechter Scherz war. Dennis wollte noch um Hilfe schreien. Doch da hatte die hungrige Bestie ihm schon die Kehle durchgebissen. Sekunden später war Dennis Brock tot. Minuten später noch mehr: Aufgefressen! Der Alte hatte lächelnd zugeschaut.
Als der ausgehungerte Hund seine Mahlzeit verspeist hatte, war von Dennis nur noch ein Haufen zerfetzer Lumpen und blutiger Knochen übrig – und der Zeitpunkt gekommen, den Hund wieder in den Zwinger zu sperren. Doch als sich der Alte dem Tier näherte, bemerkte er in dessen Augen plötzlich ein böses Funkeln. Der Hund hatte sich – irgendwie… verändert! Sein Herrchen hatte er noch nie so angesehen. Hungrig ja. Aber nicht… feindlich! Mit einem gewaltigen Satz und gefletschten Zähnen sprang er dem Alten an die Kehle und zerfleischte auch ihm mit einem Biss den Hals. Nicht etwa, weil er noch Hunger hatte, oh nein – aus reiner MORDLUST!
Denn was der Alte nicht gewusst hatte: Dennis Brock war zwar Reporter. Ja, das stimmte, sogar DER Reporter. Der mit dem guten Riecher, der immer als erster bei Mordfällen am Tatort war. Aber Dennis Brock war noch mehr. Als die Polizei die abgenagten Knochen identifizieren ließ, stellte sie fest, warum Dennis Brock immer als erster am Tatort gewesen war. Der DNA-Abgleich ergab: Dennis Brock war auch: Der seit langem gesuchte Serienmörder! Das ist Fakt. Ein Serienmörder, dessen Geist der Hund des Alten angenommen hatte, bevor er seinem Herrchen an die Kehle gegangen war – sagt die Legende!
Und vielleicht, liebe Kinder, wollt ihr ja als Tierfreunde auch noch wissen, was denn mit den armen Hunden passiert ist, die ja für all das, was passiert war, eigentlich gar nichts konnten. Hatten ja nur Hunger gehabt. Die beiden Hunde aus den Käfigen kamen wieder dahin zurück, wo der Alte sie hergeholt hatte. Ins Tierheim. Was aus ihnen geworden ist? Keine Ahnung! Den dritten, der sein Herrchen und den Reporter zerfleischt hatte, den hat man nie gefunden.
Allerdings kenne ich jemanden, der jemanden kennt, der im Tierheim arbeitet. Und der hat mir einige Jahre später erzählt, dass Wochen nach dem unheimlichen Vorfall eines Morgens ein großer Hund vor dem Tierheim gelegen haben soll. Etwa hüfthoch. Mit treuen Augen, beigem Fell. Und hungrig. IMMER hungrig! Ein Hund, der Kinder mag.
Lili, wo habt Ihr Jack noch mal her? Aus dem Tierheim?!
Kommst Du mal kurz, Jacky?
***
Die Geschichte kam gut an, auch wenn Jack leider seinen Einsatz verpasst hat. ;)
Im Anschluss habe ich dann noch ’ne ganz alte Kamelle ausgepackt, die sich allerdings als zeitlos herausgestellt hat: »Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen« – das lustige Grusel-Märchen der Gebrüder Grimm, mit ein paar kleinen aber feinen ‚redaktionellen‘ Eingriffen. Werd’s hoffentlich über die Feiertage hier eingestellt bekommen.